Einige Anmerkungen zur Didaktik

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Nun, nach acht gehaltenen Proseminaren an der LMU und ungezähltenKursen für die IBM Training Deutschland und andere Firmen, ist es wohl ein guter Zeitpunkt, einige Erfahrungen festzuhalten und Lehrgrundsätze zu dokumentieren, auf denen ich jedes Seminar aufbaue.

1 Maßstab: Langfristige Vermittlungseffizienz

Noten sind irrelevant. Dies ist keine Feststellung eines Montessori-Didaktikers, sondern die Einsicht eines Lehrenden, der bereits Jahre im Berufsleben als Consultant verbracht hat. Weder ich noch meine Kollegen in den Firmen, in denen ich gearbeitet habe, wurden nach ihrem Hochschulabschluß jemals wieder bezüglich ihrer Noten auf irgendwelchen Scheinen gefragt. Und auch die Note im Examen ist allenfalls für das Püfungsamt bei der Beurteilung relevant, ob jemand für ein Promotionsverfahren zugelassen wird. Einen Dienstvorgesetzten in einer Firma interessieren Studiennoten in aller Regel nicht. Dies ist kein Plädoyer für schlechte Leistungen. Ganz im Gegenteil: Ich möchte damit betonen, daß andere Maßstäbe für die langfristige und nachhaltige Bewertungen von Studienleistungen gelten müssen.

Die wahre Prüfung besteht darin, ob ein Mitarbeiter in einer Firma eine ihm gestellte Aufgabe zeitlich und in ihrem Schwierigkeitsgrad abschätzen, die voraussichtliche Bearbeitungsdauer treffsicher angeben und die Aufgabe in begrenzter Zeit lösen kann. Wenn ein Mitarbeiter diese Aufgabe besteht, steigt seine Reputation bei seinem Vorgesetzten und er wird mit anspruchsvolleren Aufgaben betraut. Versagt der Mitarbeiter, weil er den Schwierigkeitsgrad und/oder die voraussichtliche Bearbeitungszeit falsch einschätzt, so wird das Vertrauen seines Chefs in ihn sinken, und er wird bei der nächsten Gehaltsrunde übergangen.

Gute Lehre vermittelt in erster Linie die Kompetenz, mit den Studieninhalten verwandte Fragestellungen im Berufsleben treffsicher abzuschätzen und nach einer kurzen Einarbeitungszeit erfolgreich abarbeiten zu können. Die erfolgreiche Vermittlung dieser Kompetenz bedingt mehrere Annahmen:

* Langfristige Motivation als Grundlage der Rezeption
* Unterhaltung als Grundlage der langfristigen Motivation
* Kommunikation als Grundlage der Unterhaltung

2 Motivation als Grundlage der Rezeption

Guter Unterricht darf sich nicht einem befristeten Ziel unterwerfen. Das "Lernen auf die Prüfung" ist ein grundfalscher Ansatz und aus einer langfristigen Perspektive der Wissensnachhaltigkeit schädlich. Wenn die Inhalte nach der Prüfung vergessen werden, und die Prüfungsnote in der beruflichen Laufbahn irrelevant ist, war die investierte Zeit ohne jegliche Rendite. Der Lerner hätte diese Zeit genausso gut im Kino verbringen können.

Vielmehr sollte der Lerner aus einem natürlichen, endogenen Interesse sich den Themen nähern. Die Unterstützung und Förderung des Interesses ist die erste Aufgabe des Lehrenden. Starke Bedeutung kommt dabei der Neugier zu. Ein neugieriger Lerner ist in der Lage, auch komplizierte Inhalte in enormer Geschwindigkeit zu begreifen und zu behalten. Voraussetzung für das langfristige Behalten ist eine starke persönliche Relevanz. Der Lehrende muß daher dem Lernenden diese Relevanz nahebringen, wenn der Lerner diese Relevanz nicht ohnehin bereits kennt. Dabei sollte das Wissen um die Relevanz nicht nur rein kognitiv sein, sondern wenn möglich emotional geprägt sein. Ein Lerner, der einen persönlichen Bezug zum Thema empfindet, wird im Vergleich die besten Voraussetzungen haben, einen Stoff langfristig zu behalten.

Die Frage, ob ein guter Dozent sich in erster Linie dem Stoff oder in erster Linie den Lernern widmen soll, muß klar mit letzterem beantwortet werden. In jedem Fall muß der Mensch im Mittelpunkt stehen. Wissen hat keinen Wert an sich, sondern muß dem Lerner dienen. Daher arbeitet ein guter Didaktiker stets am Menschen. Der Lehrende ist Dienstleister am Lerner, sein Beschäftigungsgegenstand ist in erster Linie der Lerner, und nachrangig der Stoff: Nicht der Lerner kann an den Wissensinhalt angepaßt werden, sondern der Wissensinhalt muß in einer Weise präsentiert werden, wie der Lerner den durchdringendsten Lernerfolg erfährt. Dazu muß der Lehrende aber in ständiger Kommunikation mit dem Lerner stehen.

3 Unterhaltung als Grundlage der langfristigen Motivation

Unterhaltung ist verrufen: Unterhaltung sei Zeitvertreib und das Gegenteil ernsthafter Arbeit. Ich möchte dagegenhalten, man müsse zwischen Unterhaltung und den Inhalten der Unterhaltung unterscheiden! Unterhaltung mit oberflächlichen Inhalten verdient zweifellos das Prädikat des Zeitvertreibs. Aber oberflächliche Inhalte dürfen nicht mit Unterhaltung verwechselt werden! Gute Lehre ist unterhaltend! Wenn sich die Lehre dem Ziel der langfristig nachhaltigen Wissensvermittlung verschreibt, muß sie zwangsläufig unterhalten: Unterhaltung beschreibt nichts anderes als einen Zustand, in dem der Präsentierende die Aufmerksamkeit des Zuschauers oder Zuhörers in ungeteilter Weise genießt. Diese Aufmerksamkeit ist die unabdingbare Voraussetzung, um die Motivation des Lerners über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten.

Die Gegenposition beruft sich auf die Bringschuld des Lerners: Der Lerner habe mit großer Disziplin aufmerksam zu sein, und jeglichen Ablenkungen gegenüber selbständig zu entsagen. Diese Disziplin wird als Tugend überhöht und begründet die Ansicht einer Gesellschaft, welche die Verantwortung für die Einzelleistung einzig dem Sachbearbeiter aufbürdet und den Vorgesetzten von jeglicher Verantwortung freispricht, falls der Sachbearbeiter sein Soll nicht erfüllt.

Ich pflege ein anderes Bild von guter Lehre. Auch wenn ein gehöriges Maß an Selbstbeherrschung und Disziplin beim Lerner nicht schadet, so kann doch die bewußte Lenkung der Aufmerksamkeit des Lerners den Lernprozeß beschleunigen und unterstützen. Der Lehrende ist nicht aus der Pflicht zu entlassen, wenn der Lernende sich nicht mehr konzentrieren kann. Vielmehr ist es Aufgabe des Lehrenden, im Ablekungsfall die Aufmerksamkeit des Lerners zurückzugewinnen. Die Methoden hierfür sind vielfältig und müssen an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Auch sind sie vom Kontext abhängig: Ein Student akzeptiert in der Regel andere Formen der Ansprache als ein Schulungsteilnehmer bei IBM, der für wenige Schulungstage sehr viel Geld bezahlen muß.

4 Kommunikation als Grundlage der Unterhaltung

Eine zentrale Voraussetzung dafür, daß der Lerner aufmerksam bleibt, liegt in der Kommunikation zwischen dem Lehrenden und dem Lerner. Um eine optimale Vermittlungseffizienz zu gewährleisten, muß der Lehrende stets auf Signale des Lerners achten, ob dieser den Stoff verstanden hat und anwenden kann. Die Lernzielkontrolle muß unter dem Titel der Kommunikation das Grundprinzip der erfolgreichen Wissensvermittlung sein. Nichts verunsichert einen Lehrenden mehr als ein schweigendes Publikum. Um Lerner zu Rückmeldungen zu ermuntern, müssen folgende Grundsätze erfüllt sein:

  • Gleichheit: Der Lehrende muß dem Lerner auf Augenhöhe begegnen. Titel und Positionen dürfen in einem guten Unterricht keine Rolle spielen.
  • Kompetenz: Der Lehrende muß frei sprechen können. Ein reines Ablesen von Texten widerspricht dem Verständnis von Kommunikation. Dazu ist es jedoch erforderlich, daß der Lehrende den Stoff in einer herausragenden Weise beherrscht.
  • Austausch: Ein starres, dozierendes Bewegungsbild ist hinderlich: Der Lehrende sollte sich wenn möglich zur Förderung der Kommunikation gelegentlich zwischen seine Zuhörer begeben, um auch Kommunikation zwischen Kursteilnehmern zu ermöglichen. Lernen hat stets eine soziale Dimension. Frontalunterrichts-orientierte Tischanordnungen können hierzu hinderlich sein.

Rollenwechsel zwischen dem Lerner und dem Lehrenden (Lernen durch Lehren) sind in gewissen Situationen ebenso hilfreich wie Gruppenarbeit, wobei sich jede Lernsituation dem Gebot der langfristigen Vermittlungseffizienz unterwerfen muß.

Die genannten Prinzipien lassen sich in derselben Weise auf die Mitarbeiterführung im Unternehmen übertragen: Erfolgreiche Mitarbeiterführung und die langfristige Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit bedingt eine umfassende und ehrliche Kommunikation zwischen dem Mitarbeiter und seinem Teamleiter. Ich habe bewußt den Begriff "Vorgesetzter" vermieden, denn wie der Lehrende ein Diener des Lerners ist, so sollte der im Unternehmen Ranghöhere sich auch als Dienstleister des Sachbearbeiters verstehen. Der Begriff des Managers in seiner ursprünglichen, englischen Bedeutungsform vereint diese beiden Aspekte, wobei darauf hingewiesen werden muß, daß der Begriff im Deutschen mitunter anders belegt ist: Ein Manager eines Musikers ist in keiner Weise dessen Vorgesetzter. Vielmehr versteht er sich als Koordinator und Unterstützer dessen Arbeitsplanung. Gut geführte Unternehmen kommunizieren nicht nur von oben nach unten, sondern eine gute Unternehmensleitung versteht sich als Instanz, die die Arbeit der Sachbearbeiter in deren Interesse optimiert und erleichtert.

In meinen Kursen in Industrieunternehmen ist der vorgestellte Ansatz zwingende Voraussetzung für gute Bewertungen: Jeder Teilnehmer in jedem Kurs bewertet meine Arbeit als Kursleiter, und die Anmerkungen haben direkte Auswirkungen auf meine Auftragslage. Zwar ist eine derart enge Koppelung bei Hochschulseminaren auch in absehbarer Zeit nicht umsetzbar, aber die langfristige Vermittlungseffizienz sollte auch an Hochschulen im Mittelpunkt der Didaktik stehen.